31. SONNTAG im Jahreskreis
Evangelium nach Markus (12,28b-34)
„Wer bin ich? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun?“ Das sind unsere tiefen menschlichen Lebensfragen. Das sind auch die Fragen dieses Gesetzeslehrers aus dem Evangelium, der es natürlich anders, in der Sprache seiner Zeit, formuliert: „Welches ist das wichtigste von allen Geboten des Gesetzes?“ Was soll ich also tun, damit mein Leben sinnvoll ist und gelingt? Die Antwort von Jesus: „Liebt Gott von ganzem Herzen und mit ganzem Willen, mit ganzem Verstand und mit aller Kraft. Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst. Das ist das Allerwichtigste im Leben.“ Diese Antwort kennen wir schon lange. Aber können wir sie hundertprozentig bejahen? Ist das unsere Lebenseinstellung und Lebensweise? Mache ich diese Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen wirklich mit Überzeugung zu meiner Lebensaufgabe?
Liebe ich Gott? Das ist eine sehr direkte Frage. Und wie liebe ich ihn? Mit meinem ganzen Herzen, mit meinen tiefsten Gefühlen, mit meinem ganzen Willen, mit meiner Vernunft, mit allen meinen Kräften? Brennt mein Herz für Gott? Wird es überwältigt von seiner Größe und dadurch auch von meiner eigenen Kleinheit vor ihm? Fühle ich mich wie bestürzt von dem Bewusstsein, dass er mich liebt? Ich liebe ihn, weil er mich liebt. Meine Liebe zu ihm ist meine Reaktion, meine Antwort, auf seine Liebe. Es ist zutiefst eine dankbare Liebe. Ich möchte in einer Liebesbeziehung zu Gott leben.
Das hat Konsequenzen. Meine Lebensweise wird dadurch anders. Ich versuche so zu leben, wie Gott es von mir erwartet. Ich zeige ihm, dass ich ihn liebe durch meine Worte und Taten, durch meine Lebensweise. Sie werden zum Ausdruck meiner Liebe zu ihm. Das meint er auch, wenn er sagt: “Wenn ihr mich liebt, so werdet ihr meine Gebote halten.” In der hebräischen Sprache gibt es die Befehlsform „du sollst“ nicht. Es heißt eigentlich „du wirst“. Du wirst den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen lieben, weil Gottes Liebe vorausgeht. Er liebt dich schon bevor du dir dessen bewusst wirst. Und wenn es dir bewusst wirst, dann kannst du Gott doch nur mit Gegenliebe antworten, indem du versuchst seinen Erwartungen zu entsprechen, indem du dich dankbar an seine Weisungen hältst, denn du weißt: Er meint es gut mit dir. Er will nur dein Bestes.
Es ist zum Beispiel sein tiefster Wunsch, dass du auch seine anderen Kinder, deine Mitmenschen liebst. Wie kann ich ihm das verweigern? Deswegen heißt es auch im 1. Johannesbrief: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner.“ Dann ist seine Liebe zu Gott unglaubwürdig. „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.“ Die Intensität deiner Liebe zu deinen Mitmenschen weist auf die Intensität deiner Liebe zu Gott hin. Wenn Gott die Liebe ist, dann ist es Gott, der in mir wirkt, der in mir liebt, wenn ich einen Mitmenschen liebe.
Der Apostel Paulus hat in seinem 1. Korintherbrief (13,4-7) beschrieben, wie diese Liebe von Gott zu uns ist: Seine Liebe zu mir ist langmütig: Er hat sehr lange, immer, Geduld mit mir. Er ist gütig. Er ereifert sich nicht, er prahlt nicht, er bläht sich nicht auf: Er will mich nicht mit seiner Größe und Macht beeindrucken. Gott sucht nicht seinen Vorteil, sondern meinen. Er will, dass es mir gut geht. Er lässt sich nicht zum Zorn reizen und will mich nicht bestrafen, wegen meines falschen Verhaltens und meiner Untreue. Er ist nicht nachtragend: Er freut sich nur, wenn ich wieder auf ihn zugehe, wenn ich mich von ihm entfernt habe. Seine Liebe zu mir erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Sie hört nie auf.
Das ist die übermenschliche, göttliche Liebe zu mir, zu einem jeden von uns. Sie ist so überwältigend, dass ich eigentlich nicht anders kann, als sie mit meinem ganzen Herzen, mit allen Gefühlen, meinem Willen und meinem Verstand zu beantworten. Und die Liebe zu meinen Mitmenschen, kann ich davon nicht trennen. Sie gehört ganz einfach dazu. Wo wir diese Liebe praktizieren, sind wir nicht weit von Gottes neuer Welt, von seinem Reich entfernt.